BFW

Die Reise der Tannen

Ein Artikel von Viktoria Valenta, Dr. Silvio Schüler – Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) | 21.08.2023 - 11:10
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Nach einem Kälteeinbruch lag Ende März teilweise noch Schnee im kalabrischen Erntegebiet. © Viktoria Valenta

Die österreichischen Waldbesitzer und -bewirtschafter sind bestrebt, die heimischen Wälder an die Auswirkungen des Klimawandels anzupassen und ihre Widerstandsfähigkeit zu erhöhen. Zu diesem Zweck soll in Zukunft verstärkt forstliches Vermehrungsgut angepasster Arten und Herkünfte eingesetzt werden.
Eine der vielversprechenden Kandidatinnen ist die heimische Weißtanne Abies alba – insbesondere die Provenienzen aus Süditalien. Der Zugang zu adäquatem Vermehrungsmaterial ist derzeit jedoch nur eingeschränkt möglich. Aus diesem Grund hat das Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) im Auftrag der Bäuerlichen Forstpflanzenzüchter und des Landes Oberösterreich die Zusammenarbeit mit den Partnern aus Italien intensiviert, um mit deren Hilfe Pflanzmaterial der besten kalabrischen Herkünfte nach Österreich zu bringen. In weiterer Folge soll eine Saatgutplantage mit kalabrischer Weißtanne angelegt werden, aus der langfristig Saat- und Pflanzgut zur Verfügung gestellt werden kann.

Tannenbeerntung in Österreich und Italien
Die Basis für die neue Samenplantage werden sowohl Pflanzen aus dem natürlichen Verbreitungsgebiet in Italien als auch schon in Österreich wachsende Klone bilden. Auf den von Dr. Felix Bentz (LK Oberösterreich) angelegten und vom BFW wissenschaftlich betreuten Versuchsflächen in Oberösterreich wurden bereits in den 1990er-Jahren kalabrische Tannen gesetzt, um ihr Wachstum mit heimischen Herkünften zu vergleichen. Es hat sich gezeigt, dass in tieferen Lagen und wärmeren Standortbedingungen die Weißtannenherkunft Gariglione C120 aus Kalabrien die heimischen Herkünfte sowohl hinsichtlich der Vitalität als auch des Zuwachses übertrifft.
Ausgesuchte Klone dieser Flächen werden jetzt herangezogen, um einen Teil der neuen Samenplantage zu begründen. Ende Februar/Anfang März wurden auf zwei Flächen – in der Nähe von Kopfing (Wuchsgebiet 9.1. Mühlviertel, 730 m Seehöhe) und Hofkirchen (Wuchsgebiet 7.2 Nördliches Alpenvorland-Ostteil, 345 m Seehöhe) – je 20 Bäume beerntet. Um in die Krone der rund 35 Jahre alten Bäume zu kommen, wurde mit einer Teleskopschere gearbeitet. So konnten Reiser für 25 Veredelungsversuche pro Klon geworben werden.

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Fußmarsch im Wald © Viktoria Valenta

Eine Zusammenarbeit zum allseitigen Vorteil
Die Beerntung in Italien benötigte erheblich mehr Vorarbeit. Auf Initiative des Forstdienstes des Landes Oberösterreich und dem Verein „Die Bäuerlichen Forstpflanzenzüchter“ hat das BFW im Herbst 2022 Kontakt mit Partnern aus Italien aufgenommen. Auf wissenschaftlicher Ebene bestand bereits eine Zusammenarbeit mit dem Institut für Biowissenschaften und Bio-Ressourcen (IBBR) am CNR in Florenz und der Universität Mailand. Auch die nationale Kontaktstelle für Forstliches Vermehrungsgut, die Generaldirektion für Berglandwirtschaft und Wälder – Büro DIFOR IV – ökosystemare Dienstleistungen und Förderung der Biodiversität –, wurde in die Vorbereitungen miteinbezogen. Und natürlich hätte ohne die Unterstützung der Regione Calabria keine Beerntung stattfinden können.
Sowohl auf nationaler als auch auf regionaler Ebene war man sich in Italien bereits der Bedeutung der kalabrischen Tanne bewusst. Hier sind die Regionen für die Forstwirtschaft zuständig. In Kalabrien ist der Waldbau nicht auf die kommerzielle Vermarktung von Saatgut ausgelegt – Beerntungen in den Beständen finden nur sehr selten statt. Das Interesse an der Kooperation in diesem Projekt war für die Region daher groß: Durch die Plantage in Österreich kann nicht nur das Interesse an Material aus Süditalien gesteigert, sondern auch ein wichtiger Beitrag zur Generhaltung geleistet werden. Die Vorteile für Österreich liegen auf der Hand: verbesserter Austausch auf internationaler Ebene, die Möglichkeit neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und natürlich widerstandsfähiges Saatgut für einen klimafitten Wald.

Ab in den Süden – und den Schnee
Die Vorbereitungen für eine einwöchige Reise nach Süditalien wurden also getroffen. Angesetzt war die Beerntung für Anfang März, um den richtigen Zeitpunkt für den Austrieb der jungen Reiser nicht zu verpassen. Allerdings hat das Wetter diesen Plänen einen Strich durch die Rechnung gemacht: Kälteeinbruch über Italien und so viel Schnee wie schon lange nicht mehr. Daher wurde die Reise verschoben und verschoben, bis schließlich für Ende März doch ein Sonnenfenster angesagt war. Also rein ins Auto und ab in den Süden – so viele Äste kann man ja leider weder mit dem Flugzeug noch mit der Bahn einfach transportieren. Deshalb hat sich das dreiköpfige Team des BFW auf die lange Fahrt nach Kalabrien begeben. Auf dem Weg hat es dann noch einen Mitarbeiter des CNR aus Florenz mitgenommen. Und so konnte dann die Beerntung in Kalabrien starten – aber erst, nachdem das Auto gründlich im Schnee stecken geblieben war. Kein Problem – im Wald ist man ja lange Fußmärsche gewohnt. Deshalb hat das Team den Rest des Weges auf den Monte Gariglione (auf rund 1700 m Seehöhe) zu Fuß zurückgelegt. Auch hier wurden in den nächsten Tagen die vitalsten, wüchsigsten Individuen ausgesucht. Verteilt über rund hundert Höhenmeter, vom Waldrand bis in den Bestand, wurden vierzig Bäume beerntet. Weitere Unterstützung kam von Mitarbeitern des Corpo Forestale, des forstwirtschaftlichen Dienstes, die nicht nur beim Transport geholfen, sondern auch die Straße wieder passierbar gemacht haben.

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Tannenreiser © Viktoria Valenta

Hegen und Pflegen der edlen Tannen
Zurück in Österreich sind die gewonnenen Reiser aus Italien und Oberösterreich jeweils nach der Beerntung umgehend in den Versuchsgarten des BFW in Tulln gebracht worden. Dort haben die Mitarbeiter mehr als 2000 Veredelungen durchgeführt, damit am Ende genügend Pflanzen für die Plantage übrig bleiben. In den nächsten drei Jahren werden die veredelten Tannen in Tulln gepflegt, bis sie groß genug sind, um auf die Fläche der Bäuerlichen Forstpflanzenzüchter in Oberösterreich gesetzt werden zu können. Auch dann wird es noch einige Jahre dauern, bis sich zeigen wird, ob die Bemühungen der Beerntungen erfolgreich waren. Für die Versorgung mit zukunftsfittem Saatgut war das auf jeden Fall ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

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Veredelte Tannen im Versuchsgarten Tulln © Viktoria Valenta