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Luftaufnahme des Amazonas in Brasilien © Alessandro Panasolo

international

Waldschutz und Waldrecht in Lateinamerika

Ein Artikel von Gloria Sanclemente Zea (Kolumbien), Ana Maria Martínez Agudelo (Kolumbien), Heinrich Schmutzenhofer, Peter Herbst | 02.12.2022 - 07:57

Als erste große und zentrale Gemeinsamkeit ist festzuhalten, dass sich alle lateinamerikanischen Länder dazu verpflichtet haben, ihre Wälder zu schützen. Dementsprechend gibt es in jedem dieser Länder den Schutz der Wälder ermöglichende Forstgesetze und auch klare Regeln (wie etwa Genehmigungen, Zulassungsverfahren) für eine mögliche Nutzung der Wälder.

Schutz der Umwelt im Verfassungsrang
Lateinamerika hat den Schutz der Umwelt als Verfassungsnorm verankert, wobei das Recht aller Menschen auf eine gesunde Umwelt (wenn auch mit unterschiedlichen, länderspezifischen Ansätzen und Bezeichnungen) sowie auch die Verpflichtung der Staaten und jedes Bürgers zum Schutz, zur Verteidigung und zur Erhaltung der Umwelt für heutige und künftige Generationen im Verfassungsrang festgeschrieben wurden. In jedem Land wurden Umweltministerien und andere staatliche Institutionen geschaffen hat, die speziell und ausschließlich für Umweltfragen zuständig sind.

Waldbesitz
In den meisten lateinamerikanischen Ländern kann Waldbesitz sowohl öffentlich, staatlich oder auch privat sein. Anders ist es aber in Kuba, wo die gesamte Waldfläche als öffentliches Eigentum betrachtet wird, in Ecuador, wo sich der größte Teil des Landes in kollektivem Besitz befindet, in Guatemala, wo es kein spezielles Gesetz gibt, das das Recht auf Eigentum regelt und der Staat kommunale Ländereien (Ländereien, die indigenen oder bäuerlichen Gemeinschaften gehören) als kollektive Einheiten mit oder ohne Rechtspersönlichkeit anerkennt, und in Peru, wo das „Walderbe“ dem Staat gehört und daher kein Privateigentum an Wald möglich ist.
Festzuhalten ist, dass Waldbesitz für den jeweiligen Besitzer nicht bedeutet, dass er sein Recht auf den Wald willkürlich ausüben kann, sondern vielmehr, dass er für dessen Schutz und Erhaltung sorgen muss. Vieles wird über Förderungen und ähnliche Anreize gesteuert. In Costa Rica gibt es etwa ein gesetzlich geregeltes Zahlungssystem für Ökosystemdienstleistungen (PES) der Wälder, deren Eigentümer oder Bewirtschafter Ausgleichszahlungen für die Erhaltung oder Wiederbegründung von Wäldern und auch für die Begründung standortsangepasster Agroforstsysteme erhalten. Die Ausgleichszahlungen an die Waldbesitzer erfolgen im öffentlichen Interesse und werden über eine Steuer auf fossile Brennstoffe finanziert, die alle Costa-Ricaner beim Benzinkauf zahlen und die von einem staatlichen Fond zur Finanzierung der Forstwirtschaft verwaltet wird.

Anteil des Forstsektors am BIP
Der Anteil des Forstsektors am Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2020 betrug in Lateinamerika zwischen 0,2 und 3,6%, wobei Kolumbien den unteren und Uruguay den oberen Grenzwert repräsentieren. Für Venezuela sind keine aktuellen Daten verfügbar, der Beitrag dürfte aber noch deutlich unter Kolumbien liegen.

Entwaldungsraten
Es hat sich als praktisch unmöglich herausgestellt, auf Länderebene vergleichbare Daten zum jährlichen Waldverlust in Lateinamerika zu erhalten. Dem Jahresbericht der FAO zum „Zustand der Wälder der Erde“ (SOFO 2022) zufolge hat im Dezennium 2010-2020 der jährliche Waldverlust in Südamerika 2,6 Mio. ha betragen. Gleichzeitig ist jedoch bemerkenswert, dass sich der Waldverlust seit 2010 im Verglich zur Vor-Dekade halbiert hat. Die jährliche Entwaldungsrate Südamerikas liegt dem SOFO zufolge bei 0,32%. Das entspricht exakt dem argentinischen Wert. In Bolivien wurden den RELADEFA-Berichten zufolge in der Periode 2000-2010 jährlich 243.120 ha abgeholzt, in Chile lag die jährliche Entwaldungsrate bei 23.727 ha, in Uruguay im Zeitraum 2010-2015 bei 1,83%. Paraguay hat in den vergangenen beiden Dezennien 6,03 Mio. ha (25%) seiner Waldfläche verloren. Brasilien verlor 2001-2019 an die 56,5 Mio. ha Wald (11% seiner Gesamtwaldfläche). 2019/2020 betrug den Angaben der brasilianischen Weltraumbehörde INPE zufolge die Entwaldungsrate 1,11 Mio. ha/Jahr, von August 2020 bis Juli 2021 waren es allein in Amazonien 1,32 Mio. ha. Die kolumbianische Waldfläche ging im Zeitraum 2017-2018 um 192.175 ha (0,33%), zurück. In Ecuador wurden 2014-2016 rund 94.350 ha abgeholzt, davon jedoch 33.241 ha durch Naturverjüngung wiederbewaldet. Peru verlor 2019 allein 148.426 ha seines Amazonas-Regenwaldes. In Venezuela wurde 2015 der jährliche Waldverlust auf 164.600 ha geschätzt. Costa Rica verzeichnet eine Entwaldungsrate von 16.000 ha/Jahr, während aus Kuba keine Entwaldung gemeldet wird. In der Dominikanischen Republik gingen 2005-2015 an die 227.000 ha Wald verloren, in Panama 2012-2019 waren es 56.369,49 ha.

Klimawandel
Alle analysierten Länder haben sich im Rahmen des Pariser Abkommens verpflichtet, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, und haben auch Maßnahmen zum Schutz der Wälder umgesetzt.

IUFRO – International Union of Forest Research Organizations
Als globales Waldforschungsnetzwerk mit Sitz in Österreich bringt IUFRO Wissenschaftler*innen aus unterschiedlichsten Teilen der Welt zusammen, damit sie ihre Erkenntnisse austauschen, voneinander lernen und ihr Wissen entsprechend an politische Entscheidungsträger*innen weitergeben können. IUFRO, das 2022 sein 130-jähriges Bestehen feiert, ist eine nicht gewinnorientierte Nichtregierungsorganisation und verbindet heute rund 15.000 Forschende aus rund 650 Mitgliedsorganisationen in mehr als 120 Ländern. Die Zusammenarbeit in IUFRO beruht auf Freiwilligkeit und erfolgt in mehr als 250 Arbeitsgruppen. Eine davon befasst sich spezifisch mit Forstrecht und Umweltgesetzgebung in Iberoamerika.
Im Rahmen des lateinamerikanischen Netzwerks für Wald- und Umweltrecht (RELADEFA) hat diese Arbeitsgruppe unter der Leitung von Gloria Sanclemente eine umfassende Untersuchung der Situation des Forstrechts in zahlreichen Ländern Iberoamerikas durchgeführt. Die beteiligten Expert*innen haben die Ergebnisse dieser Untersuchungen auch den Leser*innen der Forstzeitung in einer Reihe von spannenden Beiträgen nähergebracht. Des Weiteren wurden die Ergebnisse auf Spanisch und Englisch in der Reihe der IUFRO Occasional Papers 2022 publiziert. Wir möchten Gloria Sanclemente sowie allen beteiligten Expert*innen, insbesondere auch Peter Herbst und IUFRO-Ehrenmitglied Heinrich Schmutzenhofer, unseren Dank für ihr Engagement in dieser beispielhaften Initiative aussprechen. - Alexander Buck, IUFRO Direktor

Literatur: IUFRO Occasional Paper No. 35 – Economics and Environmental Forestry Legislation in Latin American Countries