Was war denn die Initialzündung für die Gründung der EUSTAFOR 2006?
Roland Kautz (RK): Die Einsicht, dass die Forstwirtschaft kein Politikfeld der EU ist. Dennoch ist die Forstwirtschaft von allen anderen Politikfeldern ständig betroffen – Biodiversität, Naturschutz, halbherzig und unstrukturiert abgebildet in der Kommission (DG AGRI). So ist etwa erst acht Jahre nach der EU Forest Strategy der dazugehörige Maßnahmenkatalog erarbeitet worden. In der Privatwirtschaft wäre das ein Kündigungsgrund. Viele Gruppierungen haben Interessenvertretungen in Brüssel – von Motorradfahrern bis zu den Bienenzüchtern, auch die Privatwaldbesitzer. Nur die Staatsforste waren nicht vertreten. Mehrere Vertreter europäischer Staatsforste-Organisationen – darunter auch der damalige ÖBf-Vorstand Thomas Uher – sind 2006 übereingekommen, eine Interessenplattform für den europäischen Staatswald zu gründen. Gründungsmitglieder waren neben Österreich und Frankreich auch Estland und Finnland. Das hat sich dann sofort recht dynamisch entwickelt, das Wachstum hat nach einigen Jahren dann wieder etwas stagniert. Holland und Dänemark sind wegen Regierungswechseln sogar wieder ausgetreten. Der vormalige ÖBf-Vorstand Georg Erlacher hat während seiner EUSTAFOR-Präsidentschaft 2010-15 EUSTAFORs interne und externe Leistungspotenziale stark ausgebaut und eine starke Vertretung gegenüber den europäischen Institutionen entwickelt. Heute ist EUSTAFOR auf 36 Mitglieder aus 25 Ländern angewachsen.
Es gibt also aus einzelnen Ländern mehrere Mitglieder?
RK: Ja, denken Sie etwa an Deutschland, wo es in mehreren Freistaaten und Bundesländern Staatsforste gibt, oder auch an Belgien mit Staatsforsten in Wallonien und Flandern.
Wie stark hängen Staatsforste von der Politik in ihren Ländern ab?
RK: Das hat mit der Organisationsform der Staatsforste zu tun. Es gibt bürokratisch-administrativ und ministeriell organisierte Staatsforste mit eingeschränkter Autonomie, die stark von den politischen Entscheidungen ihrer Regierungen abhängen. Und dann sind da die unternehmerisch agierenden Staatsforste, wie etwa die Österreichischen Bundesforste oder die schwedischen oder die lettischen Staatsforste. Wesentlich ist anzuerkennen, dass jeder Organisationstyp jeweils eigenen Zielsetzungen folgt, die es zu koordinieren gilt.
Was waren denn bisherige Erfolge der EUSTAFOR?
RK: Die ersten Erfolge waren sicherlich im Bereich Biomasse und Bioenergie. Dort haben wir uns einen Sitz und Stimme erkämpft, nachdem die damalige Vorsitzende dieser Unit unserem Argument gefolgt ist, dass sie die Unterstützung der Staatsforste braucht, um die Biomasse im europäischen Wald in relevanten Dimensionen zu mobilisieren. Das war ein echter Durchbruch damals. Dann ganz sicher auch Natura 2000. Wir haben uns auch dort konstruktiv eingebracht und maßgeblich mitgestaltet. Man darf sich mit seinen Standpunkten nicht einbunkern. Am Wesentlichsten ist es zu verstehen, dass Menschen unterschiedliche Interessen am Wald und an dessen Verwendung haben. Da tut sich die institutionalisierte Forstwirtschaft manchmal sehr schwer, weil sie eben ein sehr struktur- und wertkonservativer Sektor ist. In Österreich gibt es starke Kammern und Bünde, da hat die Forstwirtschaft eine institutionelle Nähe zur Macht. Die hat sie in der EU nicht. Da kannst du froh sein, wenn du in Entscheidungsgremien eingeladen wirst. Und wenn man sich ansieht, was dem Green Deal und der Biodiversity Strategy alles subordiniert wird, dann ist es wichtig, teilzuhaben und mitzugestalten. Sonst ist man nur Passagier.
Was sind die aktuellen Themen und Herausforderungen?
RK: Eben Klimawandel und Green Deal, Bioökonomie, Ländliche Entwicklung, Biodiversität und multifunktionale Forstwirtschaft. Bei Letzterem geht es um die grundsätzliche Frage: integrativer versus segregativen Ansatz. Wir erleben, dass das Kon zept des Adaptive und Ecosystem Management aus den USA zunehmend auch in Europa Fuß fasst, ähnlich wie übrigens auch in der Rechtsprechung, wo mittlerweile sehr viel über Judikate geregelt wird. Und schließlich das Thema steigende und sich verändernde Ansprüche der Gesellschaft an Naturräumen. In 20 Jahren werden 80 % einer noch dazu stark steigenden Weltbevölkerung in Städten leben. Das hat natürlich einen enormen Einfluss auf die Bewirtschaftung der Wälder in deren Umland.
Wie finanziert sich EUSTAFOR? Gibt es auch EU-Geld dafür?
RK: EUSTAFOR finanziert sich fast ausschließlich über die Beiträge der Mitgliedsorganisationen. Früher hat man gewisse Tätigkeiten auch projektbezogen extern finanziert.
Herr Neft, was möchten Sie als Präsident der EUSTAFOR in Ihrer Amtszeit erreichen?
Reinhardt Neft (RN): In den vergangenen Jahren gab es ein sehr dynamisches Wachstum. Da gilt es, diese Vereinigung zu stabilisieren und eventuell noch auszubauen. Es gibt eine Vollund eine assoziierte Mitgliedschaft für Länder, die keine EU-Mitglieder sind. Später können aber auch sie Vollmitglieder werden. Folgende Ziele sind uns wichtig: Know-how-Transfer. Es gibt in den einzelnen Ländern sehr viel Expertise und der Effekt des Voneinander-Lernens ist enorm. Weitere wichtige Aufgaben sind die Vernetzung und politische Vertretung unserer Anliegen auf EU-Ebene, aber auch die Bündelung der sektoralen Kräfte – etwa mit dem Verband des Privatwaldbesitzes CPF und den Holzverbänden. Schließlich wollen wir die EU-Entscheidungsträger mit der forstlichen Praxis vernetzen.
Wie schlagkräftig ist die EUSTAFOR heute?
RN: Unsere Stimme wird mehr und mehr gehört und eingefordert. Auch in der Kommunikation unserer Anliegen sind wir mittlerweile schon recht erfolgreich. Nur ein Beispiel: Erst kürzlich hatten wir eine von uns initiierte und vom EU-Parlament unterstützte Online-Konferenz mit über 300 Teilnehmern zum Thema „European Hotspots of Biodiversity“.
Wie sieht es mit der Durchsetzung Ihrer Ziele in der EU-Forstpolitik aus?
RN: Es gibt eigentlich keine EU-Forstpolitik. Aber die Entscheidungen aus Brüssel, die oft sehr intransparent sind, wirken sehr stark auf die staatlichen Forstbetriebe vor Ort. Und das ist wohl mit ein Grund, warum wir in den vergangenen Jahren so stark gewachsen sind. Man erhofft sich, dass wir verstärkt Einfluss nehmen können. Man sieht das klar bei den Themen Natura 2000 sowie der Biodiversitäts- und jetzt aktuell der Forststrategie.
Glauben Sie, dass beim durchschnittlichen Staatsforstbetrieb in Europa der Anteil aus Nichtholz-Einkommen größer wird, also auch der Anteil der Dienstleistungen?
RN: Das Einkommen aus unterschiedlichen Geschäftsfeldern ist ja durchaus unterschiedlich bei den einzelnen Mitgliedern. Bei den BaySF macht der Holzerlös etwa 88 % aus, bei den ÖBf etwa 50 %. Wir alle streben eine Erhöhung dieses Anteils an und ich glaube auch, dass er auch erhöht werden wird. Da gibt es etwa Möglichkeiten im Bereich von ökologischen Ausgleichsflächen, es werden eventuell Aufgaben zur Bewirtschaftung von zusätzlichen Flächen an die Staatsforstbetriebe übertragen werden. Das liegt aber natürlich auch an den rechtlichen Rahmenbedingungen der einzelnen Länder. Wir haben uns darüber bei einer Tagung in Sardinien ausgetauscht. Aber ich glaube, dass der Anteil aus Holzeinkommen auch weiterhin im Durchschnitt der größte Beitrag unseres Einkommens bleiben wird.
Herr Borkowski, der Wald hat derzeit viel Aufmerksamkeit in den Medien und in der EU. Erleichtert das die Arbeit von EUSTAFOR?
Piotr Borkowski (PB): Es ist sehr gut, dass die Rolle der Wälder und der Forstwirtschaft anerkannt wird, ja. Doch bevor andere Sektoren zu uns kommen, um unser Fachwissen einzuholen, erarbeiten stattdessen sie Lösungen für die Forstwirtschaft, ohne ein richtiges Verständnis von nachhaltiger Waldbewirtschaftung zu haben, und sagen uns, was wir in den Wäldern tun sollen. Die Forstwirtschaft ist ein sehr komplexes Thema, das ein gutes Verständnis dafür erfordert, wie natürliche Prozesse in Waldökosystemen mit wirtschaftlichem Denken verbunden werden können. Wir haben dieses Wissen und unsere Rolle ist, es mit allen anderen zu teilen. Ich muss sagen, es ist keine leichte Aufgabe, aber es lohnt sich, Anstrengungen zu unternehmen.
Die Forstwirtschaft war ein großer Beitragsbringer in die Staatskassen und ist jetzt ein Bereich, in den investiert werden muss ...
PB: Ja, es gibt ein wachsendes Bewusstsein für diese neue Situation. In der Tat ändern sich die Bedingungen für die Waldbewirtschaftung derzeit ziemlich dramatisch. Bis 2018 haben wir von vielen unserer Mitglieder positive Informationen erhalten, dass die von ihnen praktizierte multifunktionale waldbauliche Praxis nicht nur fortschrittlich, sondern auch finanziell erfolgreich war. EUSTAFOR hat Mitglieder mit vielen verschiedenen Organisations- und Finanzformen. Es gibt Mitglieder, die von öffentlicher Finanzierung abhängig sind, aber die Mehrheit arbeitete früher auf einer soliden finanziellen Basis und leistete sehr oft beträchtliche Beiträge zu den nationalen Haushalten in Form von verschiedenen Beiträgen. Dies hat sich jedoch in einer Reihe von Fällen geändert, da die europäischen Wälder heutzutage mehr und mehr vor negativen Auswirkungen biotischer und nicht biotischer Faktoren betroffen sind. Heute ist der Klimawandel kein Zukunftsszenario mehr, unsere Wälder haben vielmehr bereits mit seinen Auswirkungen zu kämpfen. Politische Forderungen und gesellschaftliche Erwartungen waren schon vorher recht herausfordernd. Jetzt müssen wir noch mehr erreichen. Deshalb brauchen wir mehr Fachwissen, mehr Personal, mehr Zusammenarbeit mit den Forschern und folglich mehr Mittel. So ist es nicht verwunderlich, wenn unter Umständen auch die staatliche Forstwirtschaft zusätzliche Unterstützung und Investitionen benötigt. Gleichzeitig nehmen unsere traditionellen Einkommensquellen mit der Borkenkäfersituation und dessen Auswirkungen auf die Holzmärkte ab. Trotzdem behalten die meisten staatlichen Forstdienste ihre hohen waldbaulichen Standards bei der Bewirtschaftung des öffentlichen Waldes bei.
Wie hoch ist der Anteil der staatlichen Forstdienste an der nationalen Waldfläche?
PB: Er reicht von 15 % in Österreich bis zu etwa 80 % in Polen und Bulgarien. Dies hängt hauptsächlich von nationalen Traditionen, historischen Entwicklungen und Restitutionsansätzen in Mittel- und Osteuropa ab. Im Durchschnitt liegt der Anteil der staatlichen Wälder in der EU bei etwa 30 %.
Glauben Sie, dass die EUSTAFOR über genügend Lobbymacht verfügt, um ihre Ziele zu verfolgen?
PB: EUSTAFOR ist kein typischer Lobbyist, weil wir in erster Linie staatliche Forstverwaltungsorganisationen vertreten, die sich an ihren nationalen waldpolitischen Zielen orientieren müssen. In diesem Sinne unterscheiden wir uns von Lobbyisten des Privatsektors. EUSTAFOR ist jedoch einer der kleineren Verbände auf dem Brüsseler Parkett. Gleichzeitig verfügt EUSTAFOR heute über die größte Personalkapazität, die es je gab. Natürlich können wir unsere Kapazität nicht mit der von großen Industrieoder Umweltverbänden vergleichen. Aber im Vergleich zu der Situation vor zwei oder drei Jahren sind wir jetzt in einer viel besseren Position und ich kann sagen, dass wir einen der stärksten Beiträge zur politischen Agenda der EU im Bereich der Wälder und der Forstwirtschaft leisten. Natürlich spiegelt sich nicht alles, was wir sagen, sofort in den politischen Dokumenten der Kommission oder des Europäischen Parlaments wider, aber unsere Beiträge sind definitiv sichtbar. Wir unterhalten gute Beziehungen zu den Mitgliedern des EU-Parlaments, den Mitarbeitern der Kommission und den Vertretern anderer Institutionen. Es gibt eine Reihe wichtiger Dossiers im Parlament, wie etwa den Initiativbericht über die Forststrategie oder über die Entwaldung und Waldschädigung, oder in den Bereichen Biodiversität, Bioenergie usw. Wir arbeiten mit anderen Interessengruppen zusammen, um unsere Stimme zu stärken, damit unser Beitrag besser sichtbar wird. EUSTAFOR ist aktives Mitglied verschiedener Gremien, darunter ziviler Dialoggruppen oder anderer thematischer Gruppen, wie der Arbeitsgruppe für Forstwirtschaft und Natur, um nur einige zu nennen.