Herr Landesjägermeister, wie ist Ihr eigener Zugang zur Jagd und was hat ihn geprägt?
Die Jagd war in meinem Leben eigentlich immer präsent. Ich bin in einer Jägerfamilie auf einem Bergbauernhof aufgewachsen. Ich war also sehr früh auf der Jagd mit dabei, gelöst habe ich meine erste Jagdkarte 1982. Die Jagd war immer ein Teil unseres Verständnisses der Landnutzung – wie die Land- und Forstwirtschaft selbst. Jagd ist bei uns immer mitgedacht worden. Gab es irgendwo einen Wildschaden, wurden logische Denkansätze angewandt, ganz ohne Schuldzuweisungen. Damals wurde auch noch Getreide angebaut auf 600 m Höhe – das ist völlig unvorstellbar heute. Da kam natürlich schon gelegentlich auch Rotwild ins Feld. Aber dieses konstruktive Miteinander in der Problemlösung hat mich früh geprägt und das ist bis heute mein Weg. Die Polarisierung bei Herausforderungen in Forst-Jagd-Fragen wurde erst dann für mich wahrnehmbar, als ich vor 30 Jahren Jagdleiter in Molln wurde, der größten Jagdgesellschaft in Oberösterreich mit über 100 Mitgliedern. Darüber bin ich auch Jagdpächter und betreue auch seit vielen Jahren eine Jagd in Hinterstoder mit. Bis heute betrachte ich das Auseinanderdividieren beider Seiten als völlig überflüssig. Wir sollten keine Keile treiben. Vor uns steht eine Aufgabe, die wir als forstlich und jagdlich Tätige gemeinsam lösen müssen. Polarisierung bis hin zu Feindseligkeiten entfernt uns von der Lösung.
Sie haben dieses Jahr turnusmäßig den Vorsitz der Landesjägermeisterkonferenz inne. Eine anregende oder eine anstrengende Aufgabe?
Ich würde sagen: eine intensive Aufgabe, weil ich es intensiv mache. Es ist eine extrem spannende Funktion, bei der ich auch erleben darf, wie sich etwas bewegt – etwa zu beobachten, dass sich Diskussionen zwischen Jagd und Forst auf einem höheren Niveau bewegen als etwa noch vor zehn Jahren. Ich bin ja nicht neu in diesem Geschäft, war turnusmäßig vorher auch Vizepräsident von Jagd Österreich und habe da schon vieles mitbekommen. Ich empfinde die Arbeit in dieser Funktion weniger als anstrengend, sondern als fordernd. Unsere Herausforderung liegt vor allem darin, dass wir das, was sich bei der Jagd verändert hat, auch ausreichend darstellen müssen. Vor allem unter den Stadt-Bewohnern Österreichs gibt es einen eklatanten Wissensmangel zum Thema Jagd. Das fördert vorgefasste Meinungen und Klischees und macht empfänglich für einseitige, oberflächliche Meinungen. Wir haben daher heuer die Informationskampagne „Das ist Jagd“ gestartet, mit der wir darstellen wollen, wie die jagdliche Praxis wirklich aussieht und was unsere Ziele sind. Wir müssen Jagd der Gesellschaft erklären, sonst geht mit der Akzeptanz auch irgendwann unser Handlungsspielraum verloren.
Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang das Jagd-Volksbegehren?
Es zeigt eigentlich nur, mit wie wenig Hintergrundwissen sich Menschen eine Beurteilung zutrauen. Das schlägt natürlich vor allem in unserer urbanen Gesellschaft besonders auf. Manchmal scheint zu gelten: wenig Wissen, viel Meinung.
Was hat sich im vergangenen Jahr durch Ihren Vorsitz verändert?
Grundsätzlich darf eine gute Vorarbeit weiterführen. Ich beschäftige mich mehr mit Auswirkungen des Klimawandels auf unsere Lebensräume und Wälder sowie mit dem Thema Waldumbau als mit dem jagdlichen Handwerk selbst. Der weitaus größere Teil unserer Tätigkeit ist jener, der nicht so sehr wahrgenommen wird, nämlich Fragen wie: Wo genau ist unsere Rolle in der modernen Gesellschaft? Wie können wir gesellschaftsverständlich und -verträglich handeln? Denn alles, was ich an der Jagd einem Nichtjäger nicht erklären kann, wird nicht zukunftsfähig sein. Hier haben wir Aufholbedarf. Und die Graubereiche, die in der Jagd nicht erklärbar sind, müssen weg. Jeder neue Vorsitzende bringt eine neue Note in den Dachverband Jagd Österreich ein. In meinem Fall sind es die Außenwirkung der Jägerschaft, aber auch Themen wie Wildtierkriminalität und illegale Abschüsse. Denn das rückt uns immer wieder in ein extrem schlechtes Licht, und es darf hier keine Duldung geben. Hier sind wir uns in den Entscheidungsgremien einig. Auch sich rasch verändernde Lebensraumsituationen und eine intensivere Nutzung der Lebensräume durch die Gesellschaft – all das beschäftigt uns sehr. Und das muss auch gut abgestimmt und nach außen transportiert werden.
Was wären denn geeignete Kanäle der Kommunikation nach außen für die Jagd?
Wir haben uns in den Landesjagdverbänden, denke ich, schon sehr stark verändert. Wir investieren sehr viel mehr Geld und Professionalität in Öffentlichkeitsarbeit als früher. Jedes unserer Mitglieder wird über unsere Plattformen mit gutem PR-Material und mit Stellungnahmen zu relevanten Themen versorgt. Dennoch schmoren wir immer noch zu oft im eigenen Saft. Wir werden den militanten Jagdgegner selbst mit den besten Argumenten nicht überzeugen können. Hier braucht es auch eine entsprechende Distanz. Denn zuerst wird die Jagd angegriffen, und oft von denselben Gruppen gleich danach auch das Eigentumsrecht. Wir sollten uns künftig lieber jenen widmen, die uns kritisch, aber aufnahmebereit gegenüberstehen. Am 4. Juli haben wir eine Info-Kampagne in Wien gestartet, die sich besonders in den sozialen Medien engagiert. Wir hatten bis dato 13 Millionen Zugriffe mit dieser Kampagne, und das ist, wie uns Experten bestätigen, durchaus gut. Hier sind kurze, pointierte Botschaften zu übermitteln. Das soll uns recht sein, solange wir diese Kreise mit unseren Informationen erreichen.
Aber Sie scheuen auch die direkte Konfrontation nicht, oder?
Ja, der Eindruck trifft zu! Ich war heuer im Frühjahr auf Einladung von Naturschutz-NGOs bei einer Podiumsdiskussion. Ich wusste, dass ich dort in die Höhle des Löwen gehen würde. Die Diskussionen dort waren sehr spannend und emotional, das ist aber auch gut so! Ich durfte dort vor 500 Leuten unsere Standpunkte – ich hoffe authentisch – rüberbringen, mich Anfragen und der Kritik stellen. Es wird also eine Mischung sein müssen zwischen modernen Kommunikationskanälen und auch der direkten Konfrontation. Wir diskutieren gern mit Lehrkräften oder anderen Raumnutzergruppen wie den Alpenvereinen. Es muss in allem ehrlich und authentisch sein. Es ist für mich in meiner Funktion dienlich, politisch und wirtschaftlich unabhängig zu sein. Natürlich stimme ich mich dabei mit meinen eigenen Leuten ab. Aber ich bin ein für viele Jagdkolleg*innen nicht ganz einfacher Landesjägermeister – der erste Bergjäger in einem Niederwildbundesland. Die sind manchmal durchaus gefordert mit mir. Aber unsere in oft heißen internen Debatten erreichten Standpunkte oft auch persönlich einzufärben, diese Freiheit nehme ich mir.
Wäre auch die Jagdpädagogik so ein Kanal?
Ja, natürlich! Wir haben in Oberösterreich die Plattform „Schule und Jagd“, wo wir jagdliche Zusammenhänge für Schulkinder altersgerecht erklären. Die Verschneidung mit der Wald- und Jagdpädagogik mit noch mehr fachlicher Tiefe soll in Zukunft verstärkt werden. Wir sind bestrebt, in die Lehreraus- und -weiterbildung Inhalte wie Jagd, aber auch Forst und Lebensraumgestaltung noch mehr einbringen zu können. Wir haben an unserem Verbandssitz in Hohenbrunn einen Tag – früher waren es zwei Tage – für Biologielehrkräfte, das wären sehr wichtige fachliche Multiplikatoren. Oft nehmen aber nur 15 Lehrkräfte daran teil. Da müssen wir noch kreativer werden, um mehr Lehrerkräfte zu erreichen. Dabei müssen wir unsere Werte auch ehrlich vertreten und etwa mit dem Vorurteil aufräumen, dass wir nur kranke und alte Tiere schießen, wenn wir gleichzeitig wollen, dass die Menschen Wildbret essen. Jagd ist zu 98% mehr als Abschusstätigkeit. Da geht‘s um Lebensraummanagement, um Hege – aber eben nicht im Sinne von Aufhege, sondern von Begleitung und Betreuung.
Warum tut sich die Jagd in der Öffentlichkeit heute so schwer?
Weil sich die Gesellschaft sehr stark gewandelt hat und das Wissen über die Jagd, aber auch Land- und Forstwirtschaft stark abgenommen hat. Und wir haben viel zu spät damit begonnen, gegenzusteuern und etwa die Jagd in der Öffentlichkeit darzustellen und unsere Tätigkeit zu erklären! Die Mankos bei den Lehrern und anderen Meinungsbildnern, die wir gerade wahrnehmen, betreffen genau jene Generation, denen wir in der Vergangenheit unsere jagdlichen Werte nicht vermittelt haben. Jetzt müssen wir das aufholen, denn es ist nie zu spät! Darum, ein klares „Ja“ zur Jagdpädagogik in den unterschiedlichsten Formen!
Was hat sich in den vergangenen Jahrzehnten für Jagdausübende am spürbarsten verändert?
Dass wir heute als Jagdausübende in der Natur nicht mehr alleine sind. In Hinterstoder, wo ich eine Jagd mitbetreue, haben wir 54 registrierte Raumnutzergruppen. Und wir müssen mit diesen Gruppen kommunizieren. Wir können und wollen sie nicht aussperren! Trotzdem haben wir die große Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Lebensraumansprüche der Wildtiere respektiert werden. Das müssen wir auch erklären, indem wir ruhig und überlegt agieren und Überzeugungsarbeit leisten – auch, wenn man demselben Radfahrer zum dritten Mal in der Dämmerung begegnet ist. Zweitens: Die Trophäe allein kann nicht mehr die Begründung für die Jagd sein. Das war es früher – zum Teil in einem Übermaß, zum Teil ist sie es auch heute noch. Ja, Trophäen sind ein Teil unserer Jagdkultur! Aber die Übertreibung ist das Problem. Genauso Massenstrecken bei Niederwild – das ist heute niemandem mehr nachvollziehbar zu erklären! Von dem müssen wir uns verabschieden! Aber die Jäger*innen erkennen immer mehr, dass wir die Jagd auf dieser Basis nicht weiterentwickeln können. Es darf heute keine „Trophäenmast“ mehr geben. Für einen guten Rehbock brauche ich kein Maßband und keine Punkte, es geht sehr viel mehr um die Altersstruktur. Und drittens: Die größte Herausforderung für die Jagd geht aber einher mit dem Klimawandel – die Aufgabe, ökologisch und ökonomisch zukunftsfähige Wälder zu unterstützen. Gleichzeitig werden wir auch das Verständnis für die vielfältigen Aufgaben der Jagd einfordern müssen. Dafür braucht es bei Jagdleitern, Jagdvertretern und den Jagdausübenden hohe Kompetenz. Deshalb ist eine ständige Weiterbildung unumgänglich. Ein sehe mich keinesfalls als Jagdvertreter, der die Jagd der Vergangenheit einmauern will! Im Gegenteil: Wir wollen die Jagd weiterentwickeln!
Spüren Jagdausübende auch einen steigenden Druck in Richtung Erfüllung von Abschusszielen?
Natürlich! Insbesondere dort, wo man ihnen hinterherhinkt. Ich höre ja immer wieder, Österreich hätte die höchsten Schalenwilddichten europaweit. Das braucht allerdings eine gründlichere Betrachtungsweise. Wir haben in sehr vielen Revieren sehr wohl angepasste Bestände – gerade in Oberösterreich kann man das auch klar belegen. Und dort, wo es nicht so ist, ist klarerweise nachzuschärfen. Aber wir können über die Vegetationsbeurteilung belegen, dass die Welt nicht so schlecht ist, wie es manche darstellen. Vielleicht reicht es noch nicht aus, weil wir in Zukunft andere Waldbilder brauchen. Dann muss nachnivelliert werden. Wir haben gerade in Oberösterreich eine Jagdgesetznovelle, es wird die Abschussplanverordnung auch diesbezüglich überarbeitet. Aber: Es wird aus meiner Sicht von Kritikern durchaus erfolgreich eine Situation inszeniert, die nicht unbedingt der Realität entspricht. Es wird zu viel generalisiert. Dadurch verhärten sich die Fronten. Oft hängt der Forst der Jagd eine Pauschalschuld an. Ich sehe die Situation als nicht so als verfahren an. Wald und Wild gehören zusammen, und wenn es ein Problem gibt, werden wir Lösungen finden! Oft haben wir den Eindruck, dass sich die außer Streit gestellten, meist negativen WEM-Beurteilungen auf Bezirksebene nicht in den Handlungszonen der Reviere widerspiegeln! Deshalb mein Appell: Sehen wir uns mehr die Praxis an, unsere Vergleichs- und Weiserflächen erfüllen hier einen sehr praxistauglichen Zweck. Ich halte nichts von Forst-Jagd-Konflikt, aber sehr viel von Forst-Jagd-Dialog! Dieser Dialog darf niemals infrage gestellt werden.
Wir hatten vor Kurzem das elfjährige Jubiläum der Mariazeller Erklärung. Was hat sich seitdem in der Jagdpraxis geändert?
Die Mariazeller Erklärung ist grundsätzlich ein gutes Bekenntnis. Aber das geht für mich schon wieder ein wenig in Richtung eindeutiger Zuweisung von Schuld und Verantwortung an die Adresse der Jäger. Für mich ist der passendere Ausdruck „Forst-Jagd-Dialog“. Das ist kein „Kuschelkurs“, wie es manche bezeichnet haben, sondern ein ernst gemeinter Ansatz, wie man Dinge lösen kann. Vielleicht haben wir noch zu wenig „gekuschelt“, denn jetzt müssen wir nüchtern sagen: 11 Jahre Mariazeller Erklärung hat auf der Fläche wenig Wirkung gebracht. Was war der Fehler? Wir sind von diesem Muster der Verschiebung von Verantwortung nicht weggekommen. Wir sind jetzt eine Gruppe von Landesjägermeistern, die sich personell stark verändert hat, wo wir völlig offen darüber reden. Und wir haben bei unserer vergangenen Sitzung eine flächendeckende Vegetationsanalyse diskutiert – in Oberösterreich gibt es so etwas ja schon lange –, um die Wirkung tatsächlich zu überprüfen, ob und wie der Forst-Jagd-Dialog im Handlungsraum Wald wirkt. Wir haben in unserem Bezirk Jagden, da funktioniert das Miteinander wunderbar, und bei anderen Jagden gar nicht. Wir müssen im Revier überprüfen, wie weit wir auf dem Weg sind, einen Waldumbau zu ermöglichen, der in seiner Dimension bisher einzigartig ist. Dabei müssen wir diese Beobachtungen auf Revierebene verschneiden mit den Daten des WEM (Wildeinflussmonitoring, Red.).
Ist das Vergleichs- und Weiserflächenmodell in Oberösterreich für Sie beispielgebend für andere Bundesländer?
Ich denke schon, das sollte ja laut Mariazeller Erklärung auch bundesweit ausgerollt werden. Natürlich muss es ständig weiterentwickelt werden, das tun wir auch. Begonnen hat es mit Verbissprozent an Fichte, heute sind wir bei Tanne und einigen Edellaub-Baumarten. Das ist aufwendig, aber nötig. Ich weiß, manche Forstvertreter glauben, wir haben immer noch zu wenig Zäune im Wald. Das mag in Streitfällen zielführend sein. Ich bin kein großer Freund von Zäunungen, denn ich benötige keine Zäune, wenn ich mit offenen Augen durch den Wald gehe und weiß, worauf ich achten muss. Unsere Vergleichs- und Weiserflächen sind extrem aussagekräftig, dabei leicht verständlich und praxistauglich. Die Ergebnisse muss man mit den wissenschaftlichen Aussagen im WEM abgleichen und eventuelle Divergenzen hinterfragen. Der wesentlichste Unterschied zu früher ist also: Wir reden miteinander – zunächst noch vorwiegend in Gremien und zunehmend auch auf Revierebene. Da liegt aber noch Arbeit vor uns. Wir müssen Beschlüsse in die Reviere bringen – bis zum letzten Hochstand, aber auch bis zur letzten Motorsäge. Wir werden – und hier bin ich ganz bei Friedrich Reimoser – wir werden dieses multifaktorielle Problem nicht monokausal lösen können.
Für Sie ist Jagd also ein Mosaikstein, Waldbau, Waldnutzerverhalten, Lebensraumgestaltung sind wichtige weitere?
Völlig richtig! Und ich möchte darauf hinweisen: Es geht bei der Jagd um nichts weniger als um die Tötung hoch entwickelter Lebewesen, die Einfluss auf das Sozialleben einer ganzen Population hat! Es muss die Wildbiologie wieder mehr berücksichtigt werden, denn man kann hier viel falsch machen! Die Losung „Herunter mit dem Wildstand“ allein wird nicht ausreichen – in manchen Bereichen wird das wohl nötig sein, aber es ist kein Patentrezept!
Spielt hier nicht auch die Jagdform eine wichtige Rolle?
Bei der genossenschaftlichen Jagd ist das recht einfach, ja. Im Bereich der Eigenjagd wiederum gibt es hohes Interesse am Jagdwert, also an der monetären Verwertung der Jagd. Viele Eigenjagdbesitzer beteuern mir gegenüber oft: „Die Jagd ist mein betriebliches Standbein. Ich brauche die Wertschöpfung daraus! Holzerlös ist bei unseren Grenzertragsböden nicht möglich!“ Denen muss ich sagen: Man kann mit niedrigeren Wildständen auch tolle Jagderlebnisse haben. Ein gut zahlender Jagdkunde will natürlich aus dem Vollen schöpfen. Aber das ist weniger eine Entscheidung der Jagd als des Eigentümers.
Oft findet Jagd auf fremdem Boden statt. Wie könnte man das Gefühl der Ohnmacht bei vielen Kleinwaldbesitzern reduzieren?
Das Phänomen will ich gar nicht kleinreden, das gibt es natürlich. Es gibt aber andererseits auch Eigentümer, die sagen: „Ich will kein Wild sehen, weg damit!“ Es ist beides nicht zukunftsfähig. Genau da muss man prüfen, handelt es sich dabei um Extremansprüche? Denn die werden wir nicht erfüllen können. Hier soll das Eigentumsrecht Vorrang haben. Und wenn es wirklich untragbar hohe Wildbestände gibt, die eine gesunde Entwicklung des Waldes verhindern, dann ist das zu korrigieren, wenn nötig auch mit Schwerpunktjagden. Deshalb gibt es auch immer wieder Anpassungen in der Abschussplanverordnung, damit dem Rechnung getragen werden kann. Aber es gibt, wie gesagt, auch viele andere Faktoren, die man hier einbeziehen muss.
Es stimmt also der Eindruck, dass die Wildstände in vielen Regionen nach wie vor zu hoch sind?
1984 wurden in Oberösterreich 36.000 Stück Rehwild erlegt, im Vorjahr waren es bereits 82.000 Stück. Jetzt kann man argumentieren: „Das ist, weil die Wildstände so hoch sind.“ Ich weiß aber: In unserem Jagdbezirk ist er deutlich abgesunken! Der Eindruck hoher Wildstände kann also nicht auf die Zustände in Österreichs Wäldern allgemein zutreffen. Wir haben heute sehr viel mehr technische Möglichkeiten als früher, Problemzonen genau zu identifizieren. Andererseits ist das „Jagern“ in zunehmend strukturreichen Wäldern und Vorlichtungsbeständen schwieriger geworden. Aber dennoch sage ich: Ja, die Anliegen der Grundeigentümer sind ernst zu nehmen. Die Kommunikation mit den Jagdausschüssen muss funktionieren. Da gibt es seitens des Jagdgesetzes eine gewisse Aufwertung.
Der Klimawandel setzt auch unseren Schutzwäldern enorm zu. Wie stellt sich die Jagd auf diese neue Dynamik ein?
Das ist ein Thema, das uns extrem beschäftigt. Klarerweise gibt es eine Betroffenheit der Jagd, aber – gerade dort – eben nicht allein! Ich war in den Katas-
trophengebieten Ost- und Südtirols, habe mich mit dem LJM und Funktionären dort unterhalten. Da gibt es nichts zu beschönigen. Im Gegenteil: Es wird noch dramatischer werden. Da geht es um sehr viel! In Objektschutzwäldern hat die Jagd als Dienstleister zu funktionieren, in diesem Fall ist das tatsächlich so. Wie schaffen wir das? Hier muss man die Gesamtsichtweise endlich zulassen. Wir brauchen genau dort wildökologische Raumplanungsmodelle. Der einzige Ausweg ist, das Ganze großflächig zu betrachten.
Warum ist das Wild vermehrt auf solchen Kalamitätsflächen anzutreffen?
Weil es zum Teil wegen Jagddruck und wegen anderer Raumnutzer dorthin ausweicht. Das Wild hat leider keine freie Lebensraumwahl mehr. Klassisch ist das festzumachen an dem Problem, wenn zum Beispiel das Rotwild in den letzten Talwinkeln in Hinterstoder überwintern muss, wo es normal nie wäre, und dann kommt dort der Wolf hinein. Aber zurück zu Ihrer Frage: Ja, diese Gebirgsflanken müssen mit allen Mitteln wieder in Bestand gebracht werden. Hier müssen wir überlegen: Wie können wir Wildlenkungsmaßnahmen einsetzen? Ich gebe zu, da braucht es vielfach mehr Professionalität in der Jagd. Ich bin zwar kein Freund von Ersatzmaßnahmen, wo die Behörde dem Eigentümer oder dem Jagdberechtigten vorschreibt, wer dort auf die Jagd gehen soll. Aber es kann sein, dass man dort mit Wildbiologen oder mit speziell ausgebildeten Berufsjägern arbeiten muss, um zu bewirken, dass man das Wild von diesen Flächen wegbringt und ihnen andere Rückzugsgebiete anbietet. Natürlich kann es dann auch erforderlich sein, dass man dort die Stückzahlen reduzieren muss, das ist ganz klar. Aber es allein auf dem Rücken des Wildes auszutragen – nach dem Motto: „Erschießen wir einfach alle Gämsen dort“ –, das wäre zu kurz gegriffen. In diesen Tälern reden wir kaum von genossenschaftlichen, sondern vor allem von Eigenjagden. Da geht es dann auch oft um die Wirtschaftlichkeit des Betriebes. Auch hier sollte es keine monokausale Herangehensweise geben.
Wie stehen Sie zur Ökojagd?
Für mich ist der Begriff „Ökojagd“ nicht zutreffend. Für mich bedeutet „Ökologie“ ganz etwas anderes, nämlich genau diese vielen Wechselwirkungen zu berücksichtigen. Deshalb verweigere ich den Begriff im Zusammenhang mit diesem Verein und behaupte, wir betreiben eine ökologische Jagd mit ökologischen Zielsetzungen, wo wir alles berücksichtigen und nicht nur die Reduktion der Schalenwildbestände verfolgen. Dieser Ansatz greift für mich zu kurz, da er nicht ökologisch, sondern eher ökonomisch motiviert ist. Das kann – wie bei uns – eine von mehreren Zielsetzungen sein. Deshalb braucht es eigentlich keine Abspaltung, die uns nur schwächt. Ich habe gerade zu Beginn meiner Amtszeit (als LJM, Red.) sehr oft die Hand gereicht, wir sind aber leider auseinandergedriftet. Leider hat sich die Ökojagd auch politisch-ideologisch schon so weit von uns entfernt, dass ich keinen Annäherungsversuch mehr unternehmen werde.
Wie sinnvoll wäre eine bundesweite Jagdkarte nach deutschem Vorbild?
Grundsätzlich bin ich ein Verfechter des föderalen Systems. Jagdliche Gegebenheiten sind in den einzelnen Bundesländern so unterschiedlich, dass sie besser in Landesgesetzen zu regeln sind. Zudem gibt es auch historisch gewachsene Unterschiede. Man braucht das nicht unter einem Bundesgesetz zu homogenisieren. Trotzdem wäre eine bundesweite Jagdkarte natürlich eine gute Sache! Ich habe das schon mehrmals in der LJM-Konferenz angesprochen. Aber ich habe mich halt noch nicht durchsetzen können, da wird es noch ein paar Anläufe brauchen. Das ist ja nicht nur eine jagdliche Frage. Es müssten dafür auch Abgabenverordnungen geändert werden. Wir haben noch nicht die Lösung. Aber wir werden gemeinsam weiterhin daran arbeiten. Die Abschussplanung ist meiner Meinung nach in manchen Regionen zu überdenken. Wir müssen über so Manches im Gespräch bleiben und voneinander lernen. Auch deshalb haben wir vor sechs Jahren Jagd Österreich gegründet.
Wie kann die Kommunikation zwischen den Jägern, den Grundbesitzern und den Behörden verbessert werden?
Durch ein Aufeinander-Zu- und ein Miteinander-in-den-Wald-Gehen, wie es etwa bei den gemeinsamen Begehungen im Rahmen der Vergleichs- und Weiserflächenbeurteilung in Oberösterreich geschieht. Da kommen die Leute ins Gespräch. Der Behördenvertreter kann da, wo nötig, auch die Rolle des Mediators übernehmen. Wir haben so viele Beispiele hier, wo das ausgezeichnet funktioniert hat – etwa im Bezirk Perg. Dort hat es vor Jahren verheerende Waldbilder gegeben. Aber durch gemeinsame Begehungen und Anstrengungen haben wir dort etwas erreicht, was sich sehen lassen kann. Wir waren alle überrascht über die Regenerationsfähigkeit des Waldes. Darüber sollte man reden, nicht die Gegenseite schlecht machen! Ich möchte immer wieder betonen: Wir haben auf Jagdseite längst erkannt, dass wir ein wichtiger Teil der Lösung sind und nicht ein Teil des Problems sein dürfen. Ein Idealzustand ist nur dann erreichbar, wenn sich alle Beteiligten wieder ihrer Verantwortung bewusst sind. Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, die uns dabei unterstützen, gute Waldzustände zu erreichen, die aber auch realisierbar sein müssen. In einer krisenhaften Zeit des Übergangs, wie wir sie gerade erleben, wird es auch auf der einen oder anderen Seite Verzicht geben müssen – für Jagd, Forst und Tourismus. Denn man wird auch dem Forst nicht vorgaukeln können, dass in Mischwäldern höchste ökonomische Ziele erreichbar sein werden. Genauso muss der Sportbegeisterte lernen, dass man in gewissen Gräben oder auf gewissen Bergrücken manche Sportarten nicht ausüben kann. Wir müssen so gescheit werden und Verzicht lernen, sonst werden wir uns als Menschen irgendwann selbst eliminieren. Auch die Jagd wird ihren Beitrag leisten müssen. Wenn wir das nicht freiwillig tun, werden wir dazu gezwungen.
Herr Landesjägermeister, vielen Dank für das ausführliche Gespräch!